Menu
menu

HINWEIS Texte VORLESEN und ÜBERSETZEN:

Möchten Sie sich die angezeigten Texte vorlesen und/ oder übersetzen lassen, dann bitte den gewünschten Text markieren und die Maus loslassen. Das Auswahlfeld wird entsprechend angezeigt.

Anna (38 Jahre)

„Ich schäme mich nicht mehr - es kann alle Frauen treffen, aus allen Kontexten. Egal ob Schauspielerinnen, Akademikerinnen oder Arbeiterinnen. Ich gehe jetzt offen mit meiner Geschichte um.“

Für mich begann diese Beziehung mit Schmetterlingen im Bauch. Ich lernte meinen Partner auf der Arbeit kennen, als er in der Firma neu anfing. Ich hatte immer Freunde und war gern unterwegs. Er wollte das nicht. Aber zu Beginn einer Beziehung ist das normal, dass man möglichst viel Zeit zusammen verbringen möchte, oder? Damit begann, ohne dass ich es ahnte, der Beginn in eine gewalttätige, manipulative Beziehung. Er schaffte es, dass ich immer weniger Zeit mit Freunden und meiner Familie verbrachte. Dann ging er dazu über, mir einzureden, dass ich nichts wert sei. Und ich glaubte ihm. Dem folgten körperliche Bedrohung und bald schon körperliche Gewalt. Ihm „rutschte die Hand aus“ und es war meine Schuld. Dennoch zogen wir zusammen. Ich konnte mich nicht länger wehren. Ich fürchtete ihn. Seine Übermacht und meine Scham verhinderten, dass ich mich jemandem anvertraute. Erste körperlichen Übergriffe versuchte ich zu vertuschen, indem ich mich krankmeldete. Auch ein Polizeieinsatz dank aufmerksamer Nachbarn nebst Krankenhausaufenthalt nährten die Hoffnung, dass mir jemand zu Hilfe käme und die Spirale der Gewalt beendete. Aber erst nachdem nichts passierte und ich erneut schwere Verletzungen aufgrund eines Gewaltausbruches davontrug, schaffte ich es, meine Eltern zu verständigen und um Hilfe zu bitten. Danke ihrer Unterstützung schaffte ich es, meine Verletzungen in der Rechtsmedizin dokumentieren zu lassen und Anzeige zu erstatten. Während der Verhandlung bekam ich besonderen Schutz, besuchte erfolgreich eine Psychotherapie zur Überwindung der Angst. Mit der zurückgewonnenen Kraft und der Einsicht, dass mich weder Schuld trifft, noch, dass ich mich für das Erlebte schämen muss, habe eine Selbsthilfegruppe gegründet und unterstütze heute Frauen in ähnlichen Situationen.

Ausführliche Darstellung: Das ausgerechnet ich an so einen Mann geraten bin, dass hätte ich niemals gedacht. Er war gewalttätig und hat mich manipuliert. Und ich konnte ihm nichts entgegensetzen, obwohl ich eine erwachsene Frau bin, die ihr Leben bis dahin allein gemeistert hatte. Ich war nicht schüchtern oder zurückhaltend, oder sonst irgendwie unsicher. Ich fiel einfach auf ihn herein. Und es dauerte lange zehn Monate bis ich einen Ausweg aus dieser furchtbaren Beziehung fand.

Am Anfang war alles anders. Es fällt mir sehr schwer, mich daran zu erinnern. Ich weiß, dass ich ihn damals toll fand. Wir haben uns auf der Arbeit kennen gelernt, als er neu bei uns anfing. Wir sind miteinander ausgegangen und haben uns ineinander verliebt. Ich war wirklich verliebt in diesen Mann, der sich bald schon als Narzisst entpuppte und mich manipulativ einschüchterte. Aber das konnte ich damals nicht sehen. Das verstehe ich erst heute.

Eigentlich hatte ich immer viele Freunde, war gern unterwegs. Das fand er nicht gut, aber das ist. Normal, wenn man frisch zusammen ist und viel Zeit miteinander verbringen will, oder?. Dann jedoch begann er mir einzureden, dass ich nichts wert sei und dass niemand gern Zeit mit mir verbringen würde. Er hatte bereits geschafft, dass ich mich mit immer weniger Leuten traf, weniger ausging und dann, irgendwann glaubte ich ihm, dass ich nichts wert sei. Das ist doch komisch, oder? Das man sich so etwas einreden lässt.

Zunehmend begann ich mich vor ihm zu fürchten, er bedrohte mich. Als Kampfsportler wusste er seinen Körper einzusetzen, indem er mir ganz nah kam und sich vor mir aufbaute. Das macht schon Eindruck. Einen, der einem Angst einflößt. Und obschon ich wusste, dass das keine gute Idee war, stimmte ich ihm zu als er vorschlug, dass wir zusammenziehen sollte. Bereits da, wusste ich nicht mehr, wie ich da wieder rauskommen sollte. Während wir eine Wohnung suchten und es stressig wurde, „rutschte“ ihm an einem Tag die Hand aus wegen einer Lappalie. Einfach so. Natürlich war ich daran schuld, dass er mich schlug. Ich war geschockt und schämte mich fürchterlich. Meinen Eltern und Freuden erzählte ich aus Scham nichts davon, auch befürchtete ich, dass er ihnen etwas antun könnte.  

Seine Wutausbrüche wurden immer häufiger und intensiver. Einmal schlug er so fest zu, dass mein Gesicht angeschwollen ist. Ich meldete mich krank. Kurz bevor wir zusammengezogen sind, gab es erneut einen Vorfall: Er verprügelte mich derart, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Im Krankenhaus wurde eine Kieferfraktur festgestellt. Ich hoffte auf die Aussage der Polizei, dass nunmehr rechtliche Folgen für ihn drohten. Sie kündigten einen Brief an, der jedoch nie kam.

Das neue Zuhause wurde immer mehr zu meinem Gefängnis. Sobald die Tür ins Schloss fiel, stieg Panik in mir auf. Ich war so verunsichert, dass ich mich manchmal gar nicht auf die Toilette traute, aus Angst ihn dadurch zu stören. Mittlerweile hatte ich kaum noch Kontakt zu Freunden oder zu meiner Familie. Ich war ein anderer Mensch geworden. Umso mehr ich das erkannte, umso deutlicher wurde mir, dass ich nicht bei ihm bleiben konnte. Dann an einem Abend, er hatte mich wieder so verprügelt, dass ich krank zuhause war, da beschloss ich, aus dieser Beziehung zu flüchten. Als er zur Nachtschicht die Wohnung verlassen hatte, schloss ich mich von innen ein und bat meine Eltern, mich raus zu holen. Keine Nacht länger konnte ich bei ihm bleiben. Ich packte ein paar wenige Sachen, hauptsächlich Papiere und Dokumente.

Meine Schwester bestand darauf, dass ich am nächsten Tag zur Rechtsmedizin gehen sollte. Und Gott sei Dank, habe ich das auch gemacht. Mein Papa hat mich begleitet. Das Gutachten war die Grundlage für die Anzeige bei der Polizei. Es gab auf einmal so viel zu tun. Ich musste mir eine Anwältin suchen, die mir half, damit er seine gerechte Strafe bekommen würde. Meine Eltern und meine Schwester waren ein großer Halt für mich in dieser Zeit. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Ich war ja immer noch total verängstigt und dachte ständig, dass er mich verfolgen würde. Als es zur Gerichtsverhandlung kam, waren ganz viele wichtige Menschen dabei. Meine Therapeutin riet mir im Gericht die Zeugen- und Opferschutzbetreuung in Anspruch zu nehmen. Ich wusste weder, dass es sowas gibt, noch dass es für mich zugänglich wäre. Aber das war gut. Ich musste ihm nicht noch einmal gegenübertreten. Und dort in diesem Raum mit der Psychologin zusammen, verging die Zeit der Verhandlung schnell. Und obwohl er verurteilt wurde, was es kaum eine Genugtuung. Es dauerte lange, bis ich meine Angst überwunden hatte, viel schlimmer war das Gefühl der Scham. Ich dachte immer, das passiert nur anderen. Die Leute denken, dass die Frauen selber Schuld daran seien. Jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt! Ich habe gelernt, dass es nicht meine Schuld war und das möchte ich auch anderen Frauen in ähnlichen Situationen sagen. „Wir tragen nicht die Schuld, wir müssen uns nicht schämen! Es gibt einen Ausweg! Auch deshalb habe ich eine Gesprächsgruppe gegründet, in der wir uns gegenseitig unterstützen können, ganz ohne Wertung und gemeinsam.