Aktuelle Pressemitteilungen - Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Rede Petra Grimm-Benne, Ministerin für Arbeit, Soziales und Integration
Landtagssitzung: 20. bis 22. November 2019
Sperrfrist: 22. November 2019 ? Redebeginn ? Es gilt das gesprochene Wort
TOP 10 "Zukunft des Windkraftstandortes Sachsen-Anhalt und Perspektiven für die Beschäftigten der Enercon GmbH und ihrer Tochterfirmen in Magdeburg"
22.11.2019, Magdeburg – 97
- Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Anrede,
die Ankündigung von
Enercon, allein in Magdeburg fast 1.500 Arbeitsplätze in der Windkraftbranche
abzubauen, ist ein schwerer Schlag. Für die betroffenen Beschäftigten, für die
Stadt Magdeburg, aber auch für die notwendige Klimawende und für Sachsen-Anhalt
als Land der Erneuerbaren Energien. Es ist zugleich ein Alarmsignal für alle,
die sich um die Neuausrichtung der Energiepolitik bemühen. Es geht um die
Sicherheit der Energieversorgung, um Wirtschaftlichkeit der Energieerzeugung
und Arbeitsplätze, es geht aber auch um Artenschutz - und es geht nicht zuletzt
um die Akzeptanz von Windrädern in der Bevölkerung.
Anrede,
In Sachsen-Anhalt
liegt der Anteil von Strom aus Erneuerbaren bei über 60 Prozent. Damit sind wir
ein Vorreiter. Wir wollen diese Position halten, gleichzeitig muss aber der
Ausbau Erneuerbarer Energien auch in anderen Bundesländern vorangetrieben
werden. Dem stehen Berliner Weichenstellungen wie beim
Erneuerbare-Energien-Gesetzes entgegen. Wirtschaftsminister Willingmann hat das
in dieser Woche mehrfach betont.
Dem steht aber auch
entgegen, dass nach vielen Umfragen Klimaschutz für die Bürgerinnen und Bürger
das wichtigste Thema ist, dass es aber vor Ort oft sehr große Akzeptanzprobleme
gibt, wenn Windanlagen gebaut oder erneuert werden sollen.
Vor diesem
Hintergrund zu sagen, der Ausbau der Windenergie sei in Deutschland ins Stocken
geraten, ist mehr als beschönigend. In Sachsen-Anhalt wurden 2019
Baugenehmigungen für Windkraftanlagen mit einer Leistung von 32 Megawatt
erteilt. 2014 - 2016 waren es durchschnittlich 145 Megawatt. Das ist ein
Rückgang von fast 80%. Der Markt für Windräder kollabiert.
Was folgt daraus für
die Energiepolitik? Was kann zur Unterstützung der Windenergiebranche auf
Bundes- und Landesebene getan werden?
1)
Wir
brauchen eine Bund-Länder-Strategie, wie Flächen für die Windenergienutzung
verlässlich ausgewiesen werden. Wir brauchen dabei ein klares Bekenntnis zum
65-Prozent-Ziel im Bereich der Erneuerbaren Energien bis 2030, das dann auch
der Landesplanung zugrunde gelegt werden muss. Dabei müssen die vielfältigen
Interessen sowie regionalplanerische und ökologische Kriterien berücksichtigt
werden.
2)
Wir
brauchen eine Flexibilisierung der Abstandsregelungen: Ohne verfügbare Flächen
lassen sich keine Ausbauziele erreichen. Pauschale Abstandsregelungen (wie z.B.
der 1000-Meter-Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Altmaier) sind
kontraproduktiv. Wir wollen, dass es in Sachsen-Anhalt weiter möglich ist,
Anlagen mit kürzeren Abständen zu genehmigen. Sachsen-Anhalt wird die geplante
Öffnungsklausel im Bundesgesetz nutzen! Es kann ? das an dieser Stelle als
Anmerkung - nicht sein, dass jahrelange regionale Planungsprozesse vollkommen
umsonst gewesen sind.
3)
In
den nächsten Jahren haben Windräder der ersten Generation ausgedient. Neue
bringen mehr Leistung, sind aber höher. Wir brauchen schnellere und
entschlackte Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen, vor allem im
Zusammenhang mit diesem sogenannten ?Repowering?. Zu diesem Themenkreis hatte
das Wirtschaftsministerium schon vor der Ankündigung des massiven Stellenabbaus
bei Enercon zu einem Runden Tisch mit MULE und MLV für den 28.11.2019
eingeladen. Dieser Weg muss weiter verfolgt werden.
4)
Wenn
geklagt wird, dann vor allem wegen Aspekten des Artenschutzes. Wir müssen daher
naturschutzrechtliche Vorgaben standardisieren. Dazu will das Land im ersten
Schritt mit Interessenverbänden und Stakeholdern Standards und
Qualitätsmaßstäbe festlegen.
Anrede
All das sind Punkte
vorrangig aus dem Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums. Ich möchte
hier aber auch ganz dezidiert als Arbeitsministerin sprechen.
Ich habe beschrieben,
wie dramatisch die Nachfrage nach Windkraftanlagen eingebrochen ist. Das hat
Folgen für die Windkraftindustrie und ihre Arbeitsplätze. Und trotzdem stellt
sich die Frage, ob der drastische Abbau, den Enercon jetzt angekündigt hat,
vermeidbar gewesen wäre, und ob alle Alternativen zum Erhalt und zur
Weiterentwicklung der Arbeitsplätze in Magdeburg ausgeschöpft wurden.
Wirtschaftsminister
Willingmann, Umweltministerin Dalbert, Oberbürgermeister Trümper und ich haben
am Montag dieser Woche ein Gespräch mit der Geschäftsführung von Enercon
geführt. Dabei wurden wir informiert, dass Enercon sich aufgrund der
veränderten Marktlage in einem grundlegenden Restrukturierungsprozess befinde
und in Magdeburg vor allem die Arbeitsplätze in der Rotorblattfertigung
wegfallen werden. Dieser Produktionszweig kann nach Darstellung der
Enercon-Geschäftsführung in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich geführt
werden und soll ins Ausland verlagert werden. Gleichzeitig hat sich die
Enercon-Geschäftsführung aber auch klar zum Erhalt wichtiger
Geschäftszweige - insbesondere im
Bereich Generatorenbau - mit rund 2.000 Arbeitsplätzen in Magdeburg bekannt.
Das ist ein wichtiges Signal für Magdeburg und Sachsen-Anhalt.
Mein Eindruck aus
diesem Gespräch ist, dass die Geschäftsführung von Enercon, den Beschluss zur
Aufgabe der Rotorblattfertigung nicht leichtfertig gefasst hat. Trotzdem möchte
ich aber auch nicht verhehlen, dass das Geschäftsmodell von Enercon und der bislang
wenig sozialpartnerschaftliche Umgang mit den Beschäftigten nach meiner festen
Überzeugung mit zu der aktuellen Krise beigetragen haben.
Enercon hat ein
Geschäftsmodell aufgebaut, in dem große Teile der Produktion auf Partnerfirmen
ausgelagert wurden, die unternehmensrechtlich nicht zum Enercon-Konzern
gehören, aber vollständig von den Enercon-Aufträgen abhängen. Dies ist zum
Beispiel auch bei den drei in Magdeburg betroffenen Firmen, die Rotorblätter
für Enercon herstellen, der Fall. Diese Firmen sind rechtlich selbständig und
haben nach Wegfall der Enercon-Aufträge keine Überlebenschance. Hier war es mir
nun sehr wichtig, dass Enercon auch für die Beschäftigten dieser Firmen
Verantwortung übernimmt, auch wenn diese formal keine Enercon-Beschäftigten
sind. Ich habe daher diese Frage auch in dem Gespräch mit der Geschäftsführung
thematisiert und konnte hierzu ein klares Bekenntnis der Geschäftsführung zu
Ihrer Verantwortung erreichen. Enercon hat
zugesichert, dass sie die Partnerbetriebe für die stornierten Aufträge
angemessen entschädigen werden, damit diese ihren Verpflichtungen gegenüber
ihren Beschäftigten zum Beispiel im Rahmen von Sozialplanverhandlungen
nachkommen können. Dies ist eine gute Grundlage für die anstehenden
Verhandlungen auf betrieblicher Ebene. Dafür nehmen wir Enercon beim Wort und
werden darauf dringen, dass Enercon diese Zusage auch einhält.
Man muss an dieser
Stelle auch sehen, dass diese besondere Unternehmensstruktur auch geschaffen
wurde, um direkte Verantwortung für Beschäftigte zu umgehen und Mitbestimmung
durch die Beschäftigten weitgehend zu verhindern. Dies ist aus meiner Sicht ein
großer Fehler. Nach meiner Überzeugung würde das Unternehmen heute besser
dastehen, wenn die Geschäftsführung die Sozialpartner und die Beschäftigten
früher eingebunden und auf gemeinsame Strategien zur Bewältigung der neuen
Herausforderungen gesetzt worden wäre. Auf jeden Fall hätte damit aber der
jetzt notwendige Umstrukturierungsprozess auf Seiten der Beschäftigten
langfristiger und für alle Seiten schonender ablaufen können. Ich hoffe, dass
Enercon bei der jetzt stattfindenden Neuaufstellung des Unternehmens
entsprechende Veränderungen vornimmt.
Wichtig ist mir nun
aber vor allem, dass wir die Abwicklung der Arbeitsplätze in der Rotorblattfertigung
gut begleiten und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen schnell Sicherheit
und eine gute berufliche Perspektive in der Region bieten können. Die
Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht.
Viele Unternehmen suchen händeringend Arbeitskräfte. Allein im
Agenturbezirk Magdeburg sind derzeit
über 7.000 offene und sofort besetzbare Arbeitsplätze gemeldet, davon
über 1.100 im produzierenden Bereich. Hier kommt es nun darauf an, für jeden
Einzelnen der Betroffenen eine gute Lösung zu finden. Die Agentur für Arbeit in
Magdeburg ist darauf vorbereitet.
Zunächst müssen nun
aber die Betriebsräte und Geschäftsführungen der direkt betroffenen Unternehmen
miteinander Sozialplanverhandlungen aufnehmen. Was das Ergebnis dieser
Verhandlungen sein wird, ist heute noch nicht absehbar. Denkbar ist zum
Beispiel auch die Bildung von Transfergesellschaften, in denen die betroffenen
Arbeitnehmer/innen auf eine neue Beschäftigung vorbereitet und bei Bedarf auch
entsprechend qualifiziert werden können. Ob dies sinnvoll und notwendig ist,
werden die nächsten Wochen zeigen. Hier müssen nun erst einmal die
Betriebsparteien und die Agentur für Arbeit die Lage in den Unternehmen
gemeinsam analysieren und daraus ein Maßnahmepaket schnüren, das den
betroffenen Beschäftigten am besten hilft.
Wir stehen dazu in
enger Abstimmung mit der Arbeitsverwaltung, die zu den betroffenen Unternehmen
bereits in der letzten Woche einen ersten Kontakt aufgenommen hat. Ich selbst
habe auch schon Gespräche mit betroffenen Betriebsräten geführt und mit ihnen
vereinbart, dass sie mir weiteren Unterstützungsbedarf umgehend signalisieren.
Und ich habe auch mit dem Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg vereinbart,
dass wir an dieser Stelle eng zusammen arbeiten und unsere Aktivitäten
koordinieren.
Ich bin daher
zuversichtlich, dass wir die aktuelle Krise zusammen bewältigen und den
betroffenen Menschen eine Perspektive in der Region bieten können.
Vielen Dank.
Impressum:Ministerium für Arbeit, Soziales und IntegrationPressestelleTurmschanzenstraße 2539114 MagdeburgTel: (0391) 567-4608Fax: (0391) 567-4622Mail: ms-presse@ms.sachsen-anhalt.de